JLR - Theorie
Wörterbuch der Wortstämme
Dem Rechtschreibunterricht liegt "Das Wörterbuch der Wortstämme" zugrunde.
Es zeigt im Teil 1 Schülern der 3. und 4. Klasse in 249 Lerneinheiten das Ziel des Lernens: die 1000 häufigsten Wortstämme der deutschen Sprache geordnet nach ihrer orthographischen Zusammengehörigkeit in Verbindung mit den jeweiligen Wortfamilien. Das Gleiche leistet der Teil 2 in 334 Lerneinheiten für Schüler der 5. bis 10. Klasse hinsichtlich sämtlicher Wortstämme des zentralen Wortschatzes unserer Sprache. Das sind etwa 3600.
Von der Führung durch die Ohren zur Führung durch die Augen
Wie "Das Wörterbuch der Wortstämme" das Ziel des Lernens vor Augen führt, so weisen die unter Know-how aufgeführten Arbeitshefte und Arbeitsblätter den Weg. Sie sind darauf gerichtet, dass Schüler sich so früh wie möglich von dem Glauben lösen, sie könnten je richtig schreiben lernen, indem sie nichts weiter tun, als Laute in Buchstaben zu übersetzen."Er schreibt, wie er spricht", ist die Klage der meisten Eltern. Und das heißt: Er schreibt nach dem Gehör: "die Schbine", "der Schtain", "die Bekerrei".
Es geht also darum, den von den Ohren geführten Schreibprozess in einen von den Augen geführten, am Bild der Wörter orientierten Schreibprozess zu überführen. So verstehen die Schüler allmählich, dass die Rechtschreibstrategie des Schreibanfängers, des Erstklässlers, nur eine untergeordnete Strategie ist gegenüber der höheren, übergreifenden Strategie, sich Wörter und ihre Bedeutungselemente als Bilder einzuprägen und sie beim Schreiben abzurufen.
Die NLP-Methode
Eine besonders radikale Methode, Schüler zu lehren, sich an Wortbildern zu orientieren, ist die im englischsprachigen Raum entwickelte NLP-Methode. NLP bedeutet: neuro-linguistisches Programmieren.
Diese Methode geht in ihrem Brechen mit dem Nach-Gehör-Schreiben so weit, dass Kinder lernen, Wortbilder rückwärts zu buchstabieren, um sie sich eben als Schriftbilder und nicht als Lautfolge zu merken, sowie beim Einprägen und beim Abrufen der Wörter nach links oben zu schauen, weil der Mensch sich in dieser Kopfhaltung am besten erinnert. Natürlich ist diese – im deutschsprachigen Raum hauptsächlich in der Schweiz verbreitete – Methodik sehr erfolgreich, weil sie der Aufgabe zutiefst angemessen ist, Schüler auf den Weg vom Schreibanfänger zum fortgeschrittenen Schreiber zu führen, das heißt, über das bloße Hören von Lautgestalten hinaus zum Sehen von Bedeutungsgehalten. Die Hör-mir-zu-und-sprich-mir-nach-Didaktik hingegen, welche in vielen deutschen Schulen noch weit verbreitet ist, unterstützt diesen Lernprozess von Schülern ab der 2. Klasse nicht.
Schrift überhaupt
So funktioniert das Lesen und Schreiben im Deutschen im Grunde nicht anders als im Chinesischen – einer Schrift, in der es die Laut-Buchstabe-Ebene überhaupt nicht gibt. Wer umgangssprachliche Texte in chinesischer Schrift lesen will, muss nahezu viertausend verschiedene Schriftzeichen kennen, die Bedeutungsgehalte darstellen. Und auch wir (wie auch die Engländer und wie alle Menschen aller Nationalitäten) können erst dann wirklich richtig lesen und schreiben, wenn wir die nahezu viertausend Bilder der nahezu viertausend Wortstämme und anderen bedeutungstragenden Morpheme unserer Sprache als Schriftbilder im Kopf, d. h. in unserem inneren Wörterbuch verzeichnet haben, wenn wir sie beim Lesen wiedererkennen und sie beim Schreiben wiederherstellen.
Schrift im Deutschen und Englischen
Bei der englischen Schrift versteht es sich von selbst, dass sie nicht nach Gehör, nicht nach dem Klang ihrer Laute und Silben geschrieben werden kann. Mit der deutschen Schrift aber ist es haargenau dasselbe.
Für englische Sprachwissenschaftler und Pädagogen ist es kaum nachvollziehbar, wie sehr sich die deutsche Rechtschreibdidaktik und die deutsche LRS-Forschung auf die phonologische Bewusstheit der Schüler konzentrieren, statt auf die morphologische. Die Schwäche rechtschreibschwacher Kinder besteht doch gerade darin, sich Wörter nicht oder kaum als Bilder einprägen zu können und folglich nicht in Wortbedeutung-Wortbild-Zusammenhängen zu operieren, sondern in Laut-Buchstabe-Zusammenhängen.
Werden nun im Unterricht Wörter ebenfalls bis in ihre Phonem-Graphem-Zusammenhänge zerpflückt (lange und kurze Vokale, schwierige Konsonanten, ähnlich klingende Laute usw. usf.), statt in ihrer Morphemstruktur vor Augen geführt, wird gerade die Vorgehensweise des Legasthenikers zum Grundprinzip der Rechtschreibdidaktik erhoben.
In direktem Gegensatz dazu setzt das "Jenaer Lese- und Rechtschreibtraining" alles daran, dass Kinder so früh wie möglich mit den Bildern der Wortstämme vertraut werden, indem sie diese in den Wörtern hervorgehoben sehen.